Ein Loblied auf die Eckbank

Mein liebster Platz in Fuchsbau ist unsere Eckbank. Sie ist aus Eichenholz und auf ihr liegen eigens für sie geschneiderte Sitzkissen in blauen Karos. Sie steht in unserem immer warmen Esszimmer. Dort steht auch unser weißer Grundofen, auf den immer wieder Menschen ihre Hände legen wie auf einen alten tröstenden Freund.

Auf unserer Eckbank bin ich  gleichzeitig mitten im Geschehen und kann mich im richtigen Moment verstecken. Schon als Kind liebte ich es mitten im Geschehen und trotzdem verborgen zu sein. Saßen viele Menschen um unseren großen Tisch konnte ich ihnen die Hausschuhe klauen und sie an den schutzlosen Füßen kitzeln, sodass sie den Kartoffelbrei über den Tisch prusteten. Diese Leidenschaft kann ich jetzt unter unserem großen Eichentisch wieder entdecken. Der Tisch und die Eckbank waren übrigens schon da als wir einzogen. Sie standen da mit ihren 12 Plätzen und warteten auf uns, als wären sie nur dafür gemacht worden, dass eine Horde neugierige Gemeinschaffende sich auf ihnen nieder zu lassen.

Wenn ich an unsere Gemeinschaft denke, dann höre ich auch zuerst das Stimmengewirr in diesem Raum, in dem so vieles passiert. Die Wichtigkeit eines Plenums wirkt gar lächerlich, wenn man bedenkt welche Themen, Konflikte und Entscheidungen an unserem Küchentisch ausgetragen werden. Auch Gäste, Nachbarsleute und Freund*innen werden hier empfangen, es werden Geschichten erzählt, bis in die Nacht diskutiert, gelacht, geweint, gestritten, sich wieder versöhnt, geträumt, geplant und gefeiert. Der Küchentisch wird das Zentrum der Menschlichkeit. Ich darf es versteckt erforschen. Wie ein Forscherin hinter einem Busch ein neuartiges Wesen durch ihr Fernglas beobachtet, liege ich dort auf den karierten Kissen und lausche dem Stimmengewusel.

 

 

 

Oftmals sind uns diese informellen Räume nicht so wichtig. Sie sind das vergnügliche „Zwischendurch“, bevor dann das „Eigentliche“ in den Plena passiert: In Sozialplena, Orgaplena, Finanzplena und Arbeitsgruppen. Dort haben die gesprochenen Worte immer ein klares Ziel, sind strukturiert, lösungsorientiert und linear. Anders sind da dich Küchengespräche: Besprochen wird was gerade da ist. Es hat kein Ziel und die Gespräche bewegen sich meist kreisend, nicht-wissend, impulsgesteuert. Mal steht jemand auf und geht eine andere kommt und setzt sich dazu, irgendwann überkommt alle ein Gefühl von Ende und die Wege zerstreuen sich wieder. Wieder – wie wir das schon aus so vielen anderen Bereichen kennen – wird das rationale Plenumsgespräch bei dem es um Produktivität, Struktur und technische Absprachen geht dem nährendem, reproduktivem, prozessorientiertem, fließendem Küchentischgespräch übergeordnet.

Ich plädiere für eine Ehrung der Eckbank. Für die bewusste Wertschätzung der Räume in denen wir unkonzentriert, schlürfend, angekuschelt (das kann man nämlich auf Stühlen nicht, ein weiterer Punkt für die Eckbank!) das bewegen, was uns bewegt. Sie sind nicht der Füllstoff, der Zeitvertreib bis dann das Eigentliche passiert. Diese Räume sind das Wesentliche, was für mich Gemeinschaft ausmacht und was mich nährt. Sie sind das Zentrum in dem wir das pflegen und gestalten, was wir sind.